
Volksmusik und Volkslied und / als Moderne
Volksmusik und Volkslieder haben immer wieder Anregungen gegeben. „Einfache“ Instrumente wurden „klassischer“ Musik implantiert. Zitate in der „Bauernkantate“ Johann Sebastian Bachs oder die Maultrommel bei Johann Georg Albrechtsberger sind als Stilmittel bekannt. „Heitere Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande“ gehören in die frühe Moderne. Seit dem 19. Jahrhundert bilden sich neue Formen des Musikalischen aus und generieren in Stadt und Land lokale Eigenheiten als Geschichten. Als traditionell aufgefasste, in verschiedenen Formen überlieferte Volksmusik und Volkslieder dienen heute als offenbar frei zugänglicher Steinbruch, dazu auch Instrumente, Stimmen und Rufe. Das geschürfte Material weckt unterschiedliche, jeweils „kulturell gelernte“ Assoziationen. Die können weltoffener wie auch einengender, begrenzender Art sein. Musikalische, sprachliche, gesellschaftlich-historische und regionale Begründungen bieten Analogien und Anregungen zu gegenwärtigen Lebensformen. Das Material wird als (oft fromme) Kontrafaktur, als Parodie ironisch gewendet, im Paraphrasieren zugänglich. Heute gelten Sampling, Collagieren, Montieren oder Crossover als medien- und materialbezogene ästhetische Strategien. Auf einer anderen, ebenfalls aktiven und ausdrücklich informellen Seite ist die „Community Music“ zu nennen. Mit einem Akzent auf demokratischem Zugang werden in der Schulpädagogik Formen des gemeinschaftlichen und voraussetzungslosen Zugangs praktiziert.
Im öffentlich zugänglichen „Steinbruch“ scheint ein Abbau lohnend zu sein. Dürfen alle zulangen, weil das Kulturgut, als „immaterielles Erbe“ geadelt, allen gehört? Oder gar dem „Volk“? Erlöst „volkstümlich“ als Vermerk vom Urheberrecht? „Kultur kennt keine Grenzen“ ließe sich umkehren. Nicht nur in neuen Nutzungen schafft Kultur auch Grenzen als Distanz und Differenz. So lässt sich überlegen, ob die Nutzung von Volksmusik und ihrer Kontexte (um die geht es häufiger als um die Musik selbst) nicht auch Trennungen schafft, wenn und wo sie als Besonderes instrumentalisiert akzentuiert wird. Kultur kann also auch der Produktion oder gerade im UNESCO-Kontext zur Reproduktion kultureller Grenzen taugen, ist Anregung, Versatzstück, Hinweis auf Zugehörigkeit und Haltung, zusätzliche Farbe. Kann der Bezug zur Region, Ethnie, etc. Ausdrucksmittel anbieten, die in einer als verwirbelt und unübersichtlich erfahrenen Welt als gegenläufige Orientierung gesehen werden?
„Traditionelle“ musikalische Ausdrucksformen stehen ganz offenbar nicht im Gegensatz zu unserer Moderne, sondern gehören zu ihr, sind also zeitgenössisch. Der Schein des Altartigen kann ihnen reizvoll als Kontrast anhaften. Wenn dieser Befund zutrifft, muss es dafür Erklärungen geben, denen nachzugehen ist. Oft sind sie mit der Hoffnung verbunden, ihr „alter“ Kontext („Gemeinschaft“) möge sich einstellen. Die Attraktivität, die alte Instrumente Brummtopf, Drehleier, Dudelsack, Hummel, Maultrommel, eigene Metren und Melodien, Techniken etc. ausüben, mögen als Melange regionaler, lokaler Bruchstücke als Versatzstücke für neue Identitätsproduktionen entdeckt und aktiviert werden.
Der Verweis auf Tradition und Herkommen ist auch ein Akt der Positionierung. Arbeit an und mit der Tradition ist eine Auseinandersetzung mit ihr und bringt daher Neues hervor. Es lässt sich überlegen, in welcher Weise „Traditionelles“ anregend bleibt, wenn ihm eine Erzählung, ein Narrativ verpasst wird. Ohne ein Narrativ – ohne die Geschichten – blieben Volksmusik und Lieder konturlos. Um die Geschichten geht es. Was erzählen sie, was transportieren die Versatzstücke, die mehr oder minder großen Brocken des Steinbruchs, der musikalische Volkskultur heißt? Konkret gefragt ist das weite Feld der Inanspruchnahme der Musik und ihrer Kontexte, der Wünsche und Hoffnungen, der ländlichen und urbanen Selbstbilder, die in sie hineingelegt werden.
Anhand von Vorträgen, Diskussionen Workshops soll bei der Sommerakademie das weite Feld der Beziehungen von Volksmusik und/als Moderne erörtert werden. Dazu laden wir Personen aus der Volkskultur, aus dem Sozial-, Musik- und Bildungsfach sowohl aus Wissenschaft und Praxis ein.
Programm
Mittwoch, 25. August, 16 – 18 Uhr
Fremden-Verkehr im Salzkammergut. Von Einheimischen und Fremden. Marie-Theres Arnbom, Historikerin.
Der „Steinbruch“ als Bild. Folklore und Avantgarde. Konrad Köstlin, Vizepräsident des Österreichisches Volksliedwerks.
19 Uhr Empfang der Stadt Gmunden im Rathaus
Donnerstag, 26. August, 9 – 12 Uhr
Begriff und Konzept der traditionellen Musik. Ulrich Morgenstern, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie.
Volkskultur und Moderne – das Eigene und das Andere? Politische und touristische Inszenierung von ‚Volkskultur‘ am Beispiel des Tiroler Abends in den 1930/40er Jahren. Sandra Hupfauf, Universität Innsbruck, Europäische Ethnologie.
12 Uhr, Mittagessen
15 -18 Uhr
„Da Landler håt üwahaupt koan Takt ned!“ Über Rhythmus-Varianten des oberösterreichischen Landlers mit Livemusik der Familie Derschmidt. Volker Derschmidt, Forscher und Volksmusikant, OÖ. Volksliedwerk.
„Alte Tänze für junge Leute“. Else Schmidt, BAG Volkstanz, Pädagogin Joseph Haydn-Realgymnasium, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie.
Erinnerndes Gespräch um Herbert Lager. Die Musik und die „Volkstanzgemeinschaft“, Filme und Gesprächsrunde mit Zeitzeugen.
19 Uhr, Abendessen im Hotel Magerl
Freitag, 27. August, 9 – 12 Uhr
„Mir san mir. Aber wer ist „mir“? Das Fremde und das Eigene als Konnotate von Volksliedern im Schulbuch. Katharina Pecher-Havers, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Institut für musikpädagogische Forschung, Musikdidaktik und Elementares Musizieren
Das Volksfest als Kunstprojekt beim Festival der Regionen 2019. Teresa Distelberger, Filmemacherin, Moderatorin, Künstlerin und Simon Mayer (Online), Performer/Tänzer, Choreograph, Musiker im Gespräch mit Irene Egger, Österreichisches Volksliedwerk.
15 – 17 Uhr
„Verdächtige Sozialwissenschaft„, rechtliche und Forschungsethische Aspekte von Feld(er)forschung. Werner Zips, Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien.
Musikalische Anleihen im Zeichen des Urheberrechts und der kollektiven Rechtewahrnehmung: Möglichkeiten und Grenzen von Zitaten, Parodien und Pastiches. Clemens Bernsteiner, Aufsichtsbehörde für Verwertungsgesellschaften, Lehrbeauftragter u.a. Universität Wien, Sigmund Freud Privatuniversität Wien.
18 Uhr
Straßenbahnfahrt durch Gmunden mit Musikgruppe „Aniada a Noar“ und lokalen Musikgruppen gemeinsam mit Festwochen Gmunden.
20 Uhr, Abendessen im Gasthof Engelhof
Samstag, 28. August, 9 – 12 Uhr
Volksmusikinstrumente, Neue Musik, Literatur: das Projekt „Hergouth!“, Klaus Dorfegger, Fachinspektor für Musik in der Bildungsdirektion Steiermark, Komponist
„Aniada a Noar“, 40 Jahre, ein eigenwilliger, unverwechselbarer Weg der heimischen Volksmusik neue Perspektiven zu geben. Diskussionsrundemit den Musikern Wolfgang Moitz, Andreas Safer, Rupert Pfundner.
Abschlussdiskussion mit Justin Stagl.
12 Uhr, Mittagessen
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