Sommerakademie 2020

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Migrationen und Ortswechsel. Kultur als Gepäck.

26.- 28. August 2020, Gmunden
Die Menschheitsgeschichte ist auch eine Geschichte von Migrationen. Ihre Dramatik ängstigt in Österreich mehr Menschen als der Klimawandel, der sie oft auslöst.

Migrationen und Ortswechsel vollziehen sich immer mit kulturellem Gepäck, Erfahrungen, Vorstellungen, Praxen – mit Materiellem und Immateriellem. Das ist kein einseitiger Prozess, denn es verändern sich auch die Alltage der „Eingesessenen“. Die Neuen und ihre Anschauungen werden erst einmal kritisch beäugt. Lieder, Erzählungen, Kleidung, Bräuche, Essen oder Symbole erscheinen fremd, aktivieren das Nachdenken über das Eigene und geben „Volkskultur“ einen neuen Drall.

Mitgebrachte Kultur kann hilfreich sein und der Selbstbehauptung in einer neuen Umwelt dienen. Nicht immer wird sie gleich ausgepackt. Lästig mag sie werden, wird man mit Klischees wie dem Jodeln identifiziert, das zu den kollektiv geformten Kulturbeständen gehört, die sich in Praxen und Produkten realisieren. Ihre „Besitzer“ können mit ihnen Zugehörigkeit ausdrücken, sich als Eigentümer materieller und immaterieller Güter verstehen. Am Beispiel des Jodelns lässt sich erkennen, dass dies aus seinem früheren Zusammenhang herausgelöst und als „Typisches“ stilisiert, eine neue Bewertung erhält. Als UNESCO-Kulturerbe zertifiziert und als „Cultural Property“ geadelt, lässt es sich ideeller und ökonomischer Verwertung zuführen.

Kultur ist das, was Menschen miteinander teilen, was sie auch zur Unterscheidung nutzen. Sie ist das, worauf sich die Einen und die Anderen verständigen und als Gemeinsames ständig neu auszuhandeln versuchen. Es lohnt sich zu fragen, wie und unter welchen Bedingungen mit „Cultural Property“ umgegangen wird. Wir erfahren dann auch mehr über Heimaten und ihre Bilder, über das Reisen und die verschiedenen Ortswechsel wie auch über Flucht und Vertreibung und Formen des Ankommens wie des Scheiterns.

Wir laden ein, über die vielen Formen des Ortswechsels und den Umgang mit Mitgebrachtem und Vorgefundenem zu berichten, über das, was man heute Sampling und Collagieren nennt. Die Geschichten können von fernen Ländern erzählen, aber auch von solchen zwischen Land und Stadt und zurück berichten. Wer könnte uns sonst erzählen, warum sich Städter Bauernstuben einrichteten und dort Volkstanz betrieben und wer könnte uns sonst erzählen, warum und wie Musiken und Tänze, Kleider und Erzählungen als „Moden“ mit Menschen gewandert sind und Lebensstile bestimmten?

Anhand von Vorträgen, Diskussionen Workshops wird bei der Sommerakademie ein im mehrfachen Sinne offenes, weites Feld historischer wie gegenwärtiger Beispiele von Volkskultur im traditionellen herkömmlichen Sinn, im sozialen Gebrauch, in therapeutischer Funktion und im Bildungsbereich diskutiert. Dazu laden wir Personen aus der Volkskultur, aus dem Sozial-, Musik- und Bildungsfach sowohl aus Wissenschaft und Praxis ein, sich mit Ortswechsel, Migration, Fremden, „Cultural Proberty“, Sampling… von Volkskultur in Vergangenheit und Gegenwart zu beschäftigen.

Das Programm

Mittwoch, 26. August 2020

16 – 18 Uhr: Migration: Mitgebrachtes und neu Formatiertes

  • Zum Sujet. Irene Egger, Geschäftsleiterin des Österreichischen Volksliedwerks
  • Einführung. Konrad Köstlin, Vizepräsident und Leiter der Wissenschaftlichen Kommission des Österreichischen Volksliedwerks
  • Migration visualisiert, Erfahrungen im Museumskontext. Karl C. Berger, Tiroler Volkskunstmuseum

 19 Uhr: Abendessen mit Geburtstagsfeiern, Seehotel Schwan
Hausruckdepressionen, auf den Spuren von Franz Czech. Der „Hausruckkreis“ vor rund 200 Jahren. Klaus Petermayr, musikalisch umgesetzt von Albin Paulus

Donnerstag, 27. August 2020

09 – 12 Uhr: Gesellschaftliche Kontexte

  • Die Landler in Siebenbürgen. Anmerkungen zu historischen Migrationen unter den Habsburgern und Formen der „Erinnerungskultur. Wilfried Schabus, Österreichische Akademie der Wissenschaften
  • Die Dachauer Künstlerkolonie. Die großstädtische Entdeckung der Landschaft. Monika Wolf

15 – 18 Uhr: Minderheiten 

  • Music and Minorities Research Center MMRC (Wittgensteinprojekt). Ursula Hemetek, Universität für Musik und darstellende Kunst, Wien
  • European Voices, Forschungszentrum für Europäische Mehrstimmigkeit. Ardian Ahmedaja, Universität für Musik und darstellende Kunst, Wien
  • Die Alpenländische Mehrstimmigkeit, aktuelle Forschungsergebnisse aus und für die Praxis. Volker Derschmidt, Forscher und Musiker

19 Uhr: Empfang beim Bürgermeister der Stadt Gmunden entfällt aufgrund der steigenden Zahlen COVID-19 Infizierter in Oberösterreich

freiwilliges Alternativprogramm im Hotel Magerl
20.00 Uhr: Das Österreichische Volksliedwerk im Freien Radio Salzkammergut. Im Portrait: Volker Derschmidt und/oder Peter Windhofer, Sendereihe gestaltet von Irene Egger

Freitag, 28. August 2020

09 – 12 Uhr: Kulturelles Kapital und Wertschöpfung aus Kultur

  • Devise Zither, zum Kurswert kulturellen Kapitals. Katharina Pecher-Havers, Institut für Musikpädagogische Forschung, Musikdidaktik und Elementares Musizieren an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Vortrag mit Musikbeispielen von Cornelia Mayer, Zitherspielerin und -lehrerin
  • Singen an der Kante, Bergsteiger als Jodler – Jodler als Bergsteiger. Eva C. Banholzer, Musikerin, Musikpädagogin, Forscherin
  • Jodeln in Wien – im Netzwerk einer transalpinen Jodelszene. Martina R. Mühlbauer, Musikwissenschaftliches Institut Universität Wien

15 – 18 Uhr: Identitäten und Heimaten

  • heimat=sharing, Filmpräsentation eines Leader-Projekts. Siegfried Kristöfl, Historiker und Kulturvermittler
  • Der Besetzungswandel in den österreichischen Blasorchestern mit Bezügen zur nationalen Volksliedüberlieferung. Rudolf Gstättner, Forscher und Musiker
  • Schlussdiskussion

 18 Uhr: Singen, Musizieren am Rathausplatz ist aus Sicherheitsgründen betreffend Covid-19 seitens der Stadt Gmunden und des Österreichischen Volksliedwerks abgesagt. 

Wir werden die Modalitäten offen gestalten. Das Programm wird dahin beweglich bleiben müssen. Die Formate der Veranstaltung und auch Rahmenbedingungen vor Ort werden sich an die aktuellen gesetzlichen Vorgaben und Sicherheitsbestimmungen betreffend Covid-19 halten. In Anbetracht dieser Situation findet die Sommerakademie 2020 auch verkürzt statt.
Die Programmpunkte finden, sofern nicht anders angegben, im Hotel Magerl in Gmunden statt.