
Volkskultur als Dialog: Ökonomien und Lebensformen von Musikanten und Musikantinnen
24.– 27. August 2022, Gmunden am Traunsee
Mittwoch, 24. August, 16 – 18 Uhr
Einführung
„Ein Fenster in die Vergangenheit“. Über Volksmusik als geschichtliches Argument; Anita Mayer-Hirzberger, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung.
Ökonomien und Lebensformen von Musikanten und Musikantinnen; Konrad Köstlin, Vizepräsident des Österreichisches Volksliedwerks.
19 Uhr Empfang der Stadt Gmunden im Rathaus
Donnerstag, 25. August
Musik als Gewerbe
9 – 12 Uhr
Die Salzburger Spielleute-Verzeichnisse von 1804 – eine soziografische Erkundung zum damaligen Musikantentum. Sepp Gmasz, Regionalforscher und Obmann des Burgenländischen Volksliedwerks.
Gröscherlzählen versus Buchhaltung. Die Kommerzialisierung des Zitherwesens; Katharina Pecher-Havers, Musikpädagogin, Verein Wiener Zitherfreunde.
„… die vollbesetzte Oberländler Kapelle in ihrer schmucken Tirolertracht“. Alpenromantik als Inszenierungsfaktor in der deutschen Musikwirtschaft des frühen 20. Jahrhunderts; Merle Greiser, Forschungsstelle für fränkische Volksmusik.
12 Uhr, Mittagessen
Musik und Ökonomie in Gemeinschaften
15 – 17 Uhr
Heischebräuche der Kinder im Salzkammergut rund um die letzte Rauhnacht – eine Glaubensfrage; Irene Egger, Österreichisches Volksliedwerk.
Geldlose Identität? – Über Rolle und Stellenwert von Volksmusik in der kroatischen Volksgruppe Lydia Novak, Ensemble Kolo Slavuj
„Er sah sich als Bauer, nicht als Musiker“: Instrumentalmusik als tradiertes Gewerbe in der Alpsteinregion; Yannick Wey, Hochschule Luzern – Musik, Forschung Musikpädagogik.
Freitag, 26. August
Musikerinnen und Musiker und die Musikwirtschaft
9 – 12 Uhr
„Ka Göd – ka Musi!“, Volksmusik – Beruf oder Liebhaberei?, Eva Maria Stöckler, Universität für Weiterbildung Krems
„Fair Pay – Fair play“, Pay the artist now! Eva-Maria Bauer, Universität für Weiterbildung Krems
„Kraft durch Freude“ als Auftraggeber für professionelle Musikanten in Tirol; Sandra Hupfauf, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck
15 – 16 Uhr
Musik auf der Straße – der „Werkelmann“; Oliver Maar, Werkelmann im Gespräch mit Susanne Schedtler, Wiener Volksliedwerk.
17.30 Uhr Straßenbahnfahrt mit Musik durch Gmunden (optional Besuch des Töpfermarktes), in Kooperation mit Stadt Gmunden, Gmundner Festwochen und OÖ. Volksliedwerk.
Im Anschluss Abendessen
Samstag, 27. August, 9 – 12 Uhr
Podiumsdiskussion mit:
Theresa Aigner von Divinerinnen/Tanzgeiger
Simon Wascher, Musiker, Tänzer
Martin Spengler, Musiker, Liedautor und Komponist
Andreas Voit, Musiker und Instrumentenbauer
Diskussionsleiter: Herbert Zotti, Wiener Volksliedwerk: Festival wean hean, Offenes Singen
Resümee, Ulrich Morgenstern, Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Das Programm wurde von der Wissenschaftlichen Kommission des Österr. Volksliedwerks zusammengestellt. Der zeitliche Ablauf des Programms unterliegt eventuell noch geringfügigen Änderungen, wir bitten um Verständnis!“
Zum Inhalt
Über Lebensformen von Musikanten und Musikantinnen waren oftmals feste und romantisierende Bilder im Umlauf. Vorstellungen über Volk, Volkskultur und Volkslied haben sich vor allem im 19. Jahrhundert ausgebildet. Nicht nur die Tiroler sind seither lustig. Allein das Wort „Musikanten“ legt die Spur in freie und selbstbestimmte, vor allem männliche Lebensformen. Die Sommerakademie will Vorstellungen, die zu Mythen geworden sind, nachgehen. Dazu gehören die strikte Oralität, das Dörfliche und eine Ausblendung, ja Verachtung des Ökonomischen.
Orte und Anlässe des Singens und Spielens sind für die Vormoderne archivalisch gut belegt: Vor allem dort, wo lizensierte Musik als zünftiges Gewerbe galt und oft bis ins 19.Jahrhundert als „Pacht“, etwa von „Türmern“, als Handwerk ausgeübt wurde. Obrigkeitliche Verordnungen hatten Musikkonsum und Instrumente an ständische Merkmale gekoppelt. Aus kommunalen Rechnungsbüchern wissen wir über „Vergütungen“ Bescheid (Sternsingen, Hochzeit). Konflikte zwischen Handwerkern und „Laien“ wurden aktenkundig. In den Landesbeschreibungen wurden Bräuche lokaler Gruppen aufgezeichnet. Denkt man etwa an die Lieder der Frauen bei der Totenwache, weiß man wenig über das informelle System der Gegenseitigkeit des Gabentauschs in der Gemeinschaft. Lieder über die Arbeit oder solche die bei der Arbeit gesungen wurden, lassen sich vor allem dort denken, wo Gruppen gemeinsam lebten und arbeiteten.
Früh wurden als “Volkslied“ narrative Gattungen wie die Balladen bewundert. Anfang des 19. Jahrhunderts, in einer Schlüsselphase der Moderne, kreiert die germanistische Bewegung das „Volkslied“ als intellektuelle Konstruktion in einem ästhetischen Entwurf des „Eigenen“. Nun wurde ein Lied oft nicht als Bestandteil und Spiegel gesellschaftlicher Realität verstanden, sondern als „Volkslied“, radikal losgelöst, zur Projektion. Es werden national-romantische, regressive Bilder entworfen. Die Mündlichkeit als schriftloser, vorliterarischer Ursprung sollte zur „Unschuld der Kindheit“(Tieck) in die Frühzeit leiten, wurde zum Ausdruck einer nationalen Tiefenbohrung. Zum Mythos des „Volkslieds“ gehörten seither Oralität und die Abwesenheit von Kommerz in einer antikapitalistisch-ländlichen Gemeinschaft. Franz Friedrich Kohl und Joseph Pommer hatten die „Volksänger“ als unecht geschmäht und den Verkauf ihrer Liedblätter vom „echten“ Volkslied abgehoben. Ländlich naturhaft, mündlich und antikapitalistisch waren Qualifikationsmerkmale, die dann auch zu Verdammung und Ausschluss des Wienerlieds vom echten Volkslied führten. „Vom Barette schwankt die Feder“: Um die vorletzte Jahrhundertwende waren sich Jugendbewegung, Lebensreform, germanistische Wissenschaft und Volkskunde einig.
Heutige Erscheinungsformen von Volkslied und Volksmusik und ihre mediale Präsenz zeigen Singende kaum je mit einem Blatt Papier in der Hand abgebildet. Das Postulat der strikten mündlichen Überlieferung hält sich ikonographisch und habituell. Neben “traditionellen“ Milieus ist eine fast durchgängig akademisch ausgebildete Branche entstanden, innerhalb derer musikwirtschaftliche Zusammenhänge debattiert werden. Hier hat sich ein Markt innovatorisch aktualisierter, oft alternativer Musik entwickelt – im „Volkston“ wie im Habitus. Im meist urbanen, professionellen Milieu bilden sich Ökonomie und Lebensformen neu aus. Dabei ist an die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ zu erinnern: Neben neuen, innovativen Formen, die sich auf Volkslied und Volksmusik berufen, gibt es die „Traditionen“ und das große Feld „volkskultureller“ Angebote in den Bundesländern. Überall lässt sich fragen, ob und wie die Sedimentierung älterer Deutungen und Praktiken bis heute reicht.
In den Beiträgen der Sommerakademie geht es um solche und andere Mythen, die gegenwärtige wie historische Musikwirtschaft, ihre Inhalte, Akteure und Akteurinnen und ihre Ökonomien.
Das Programm entsteht in Zusammenarbeit mit der Wissenschaftliche Kommission des Österreichischen Volksliedwerks.