
Volkskultur als Dialog: Aufgeführt und vorgeführt
24. – 27. August 2016, Gmunden am Traunsee
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts bildeten sich bei den gesellschaftlichen Eliten Mythen einer romantisierten Idee von Volkskultur aus. Sie sahen die im Volk selbst entstandene Kultur als prinzipielles Gegenstück zur Hochkultur. Volkskultur durfte nicht kommerziell sein. Rein und nicht verderbt, sollte sie ihren „Sitz im Leben“ haben und anders als die Hochkultur nicht ‚aufgeführt und vorgeführt’ werden.
Gebildete Herren (es waren tatsächlich fast nur Männer) sammelten seit 1900 in der Sommerfrische Volkskultur, zeichneten Lieder, Bräuche und Trachten auf. Auch Lehrer taten das, sie notierten Bemerkenswertes, das später zum identitätsproduktiven Markenzeichen werden konnte. Diese Verwertung von ‚Volkskultur’ stößt sich oft mit dem Postulat der Echtheit, die sich von Präsentationen auf der Bühne fernhalten sollte. Solche Vorstellungen der Intellektuellen haben mit historischen Praxen nichts zu tun. Für Volkskultur gab es immer Bühnen und in der Regel wurden Musizierende und Akteure der Bräuche für ihre Aufführungen entlohnt. Schon in Stadtrechnungen und anderen Ausgabenbüchern des Mittelalters tauchten die Zahlungen als „Reichnisse“ auf.
Der bürgerliche Blick von außen, aufs „Volk“, gliederte Volkskultur, Lieder, Trachten und Bräuche in nationale Selbstbilder und dann bald in den frühen Tourismus ein. Tourismus verwandelte Armutsgebiete in blühende Dienstleistungsregionen. Er wurde zum Agenten der Modernisierung und nutzte – hochmodern – die als historisch bezeichnete Volkskultur als Markenzeichen. In Österreich scheint Volkskultur besonders in touristischen Regionen lebendig und auffällig. Auf Heimatabenden und Brauchtumsfesten vorgeführt, wird sie auch zur lokalen Selbstfeier. Viele ihrer Formen würden ohne den Tourismus heute nicht existieren. Auf Volkskultur gegründete Identität funktioniert nicht selbstgenügsam, sondern bedarf der Bühnen, der Zustimmung und des Beifalls der Anderen.
In unserer Moderne bekommt Volkskultur eine neue Bedeutung. Ihre Medienbezogenheit und die Vielfalt der Repräsentationsformen von Gruppen, Vereinen und Initiativen aller Art stoßen sich mit den alten Aufführungspraxen und deren Bildern. Dabei ist die Präsentation auf der Bühne keine Einbahnstraße: Bühnenpraktiken halten Einkehr in populäre Präsentationen von Volkskultur und auch die Gegenrichtung funktioniert.
Das führt zu neuen Fragen: Wie und wo haben sich Aufführungspraxen wie auch Akteure gewandelt? Wann können neugeschaffene Kontexte als authentisch verstanden werden? Konkret und weiter gefasst: Was bedeutet die Verbindung von Marketing und Volkskultur? Unter welchen Bedingungen verändern sich Formen der Performanz? Ist die Bühne als einer der Orte, an denen sie präsentiert wird, heute legitim, gewöhnlich? Diese und weitere Fragen rund um das Thema stehen in Vorträgen, Workshops und Konzerten zur Diskussion.
Das Programm
Mittwoch, 24. August 2016
16.00 – 18.00 Uhr
-) Zur Einführung. Konrad Köstlin, Vizepräsident und Leiter der Wissenschaftlichen Kommission des Österreichischen Volksliedwerks
-) Präsentation des Jahrbuchs des Österreichischen Volksliedwerks, Band 65. Erna Ströbitzer, Redaktion Österreichisches Volksliedwerk
-) „Entschuldigen Sie, ich hätte gerne noch ein Achterl” – gelebte und inszenierte Identitäten im Zitherspiel. Gertrud Huber, Musikerin und Musikwissenschaftlerin
19.30 Uhr
Empfang im Rathaus der Stadt Gmunden
Donnerstag, 25. August 2016
9.00 – 12.00 Uhr
-) Wa(h)re Tradition: Volksmusik zwischen Authentizität und Inszenierung. Eva Maria Stöckler, Leiterin Zentrum für Zeitgenössische Musik Donau-Universität Krems
-) Frauen in der tradierten Musikpraxis auf dem Land im 20. Jahrhundert. Armin Griebel, Forschungsstelle für fränkische Volksmusik der Bezirke Mittel-, Ober- und Unterfranken
-) Tanzkulturen als Dialog. Präsentiert und praktiziert? Gunhild Oberzaucher-Schüller, Tanzhistorikerin
15.00 – 17.00 Uhr
-) Wastl Fanderl (1915-1991) – Impulse und Neuerungen. Zur kritischen Quellen-Edition und Biografie durch Karl Müller 2012. Michael J. Greger, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Salzburger Landesinstitut für Volkskunde
-) Fasnachtsbräuche und Kommunikation. Thomas Nussbaumer, Department für Musikwissenschaft / Fachbereich Musikalische Ethnologie (Innsbruck), Universität Mozarteum
19.30 Uhr Klostersaal Traunkirchen
Oberösterreichischer Festabend mit dem „tschejefem Trio“ aus dem Mühlviertel und Gstanzlsängerin Luise Pape sowie der “Goaswandmusi“ aus dem Salzkammergut
Freitag, 26. August 2016
9.00 – 12.30 Uhr
-) Volkslieder im Musikunterricht in Österreichs Pflichtschulen. Historische Entwicklungen und Problemfelder im 20. Jahrhundert im Spiegel ausgewählter Schulliederbücher. Peter Gretzel, Archivleiter NÖ Volksliedarchiv der Volkskultur Niederösterreich GmbH
-) Leier, Trumscheit, Dudelsack. Musikinstrumente im Folk-Revival der DDR. Ralf Gehler, Zentrum für Traditionelle Musik am Freilichtmuseum für Volkskunde Schwerin-Mueß in Deutschland
-) Radio und Fernsehen als Bühne für volksmusikalische Auf- und Vorführungen. Die Geschichte eines stilkundlichen Missverständnisses. Walter Deutsch, Ehrenpräsident Österreichisches Volksliedwerk
15.00 – 19.00 Uhr
-) Partizipation beim Singen. 20 Jahre Offenes Singen im Wiener Volksliedwerk. Susanne Schedtler. Geschäftsführerin und Archivleiterin Wiener Volksliedwerk
-) Volksmusik als partizipative Musik? Zur Vorstellung eines ethnomusikologischen Konzeptes und dessen Anwendung auf heimische Volksmusik. Florian Wimmer, Doktoratsstudent der Musikwissenschaft am Institut für Ethnomusikologie der Kunstuniversität Graz
-) Der „Heimatabend“ auf dem Weg zum „Tiroler Abend neu“ – Grenzen und Genres überschreitende Entwicklungen zwischen Tirol und Vorarlberg. Walter Meixner, Musikpädagoge und Musikwissenschaftler
-) Workshop: Offenes Singen mit Johanna Dumfart, Musikerin und Pädagogin
Samstag, 27. August 2016
9.00 – 12.00 Uhr
-) Musik als Dienstleistung. Traditionelle Praxis und pflegerischer Kommerzialitätsdiskurs. Ulrich Morgenstern, Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
-) Zillertal – London – New York. Die frühen Tourneen der Geschwister Rainer und „Rainer Family“ (1822-1843) und die Popularisierung von Tiroler Liedern. Sandra Hupfauf, Projektmitarbeiterin am Institut für Musikwissenschaft der Universität Innsbruck
-) Lecher Musikantentag. Anita Frühwirth, Vorsitzende Vorarlberger Volksliedwerk
-) Im Anschluss Resümee, Ausblick und Diskussion mit Justin Stagl, Universität Salzburg
Alle Programmpunkte sind öffentlich zugänglich, bieten im Anschluss Zeit für Diskussion und finden, sofern nicht anders vermerkt, im Hotel Magerl in Gmunden statt.
Das Programm ist in Zusammenarbeit mit der Wissenschaftlichen Kommission des Österreichischen Volksliedwerks entstanden.